NZZ am Sonntag vom 30.08.2015, Seite 15:
Bildungspolitik
Volk will Zugang zu Unis beschränken
Umfrage zeigt grosse Sympathien für einen Numerus clausus bei den Geisteswissenschaften:
Weniger Historiker, Soziologen und Sprachwissenschafter: Die SVP-Forderung nach einem Numerus clausus findet breite Zustimmung. Das ergibt eine Umfrage der Bildungsforschung.
Von René Donzé
Sollen die Universitäten mehr Sozial- und Geisteswissenschafter ausbilden, wo doch der Wirtschaft vor allem Techniker und Ingenieure fehlen? In den letzten zwanzig Jahren hat die Zahl der Studierenden der sogenannt «weichen Fächer» von gut 28 000 im Jahr 1995 auf knapp 45 000 zugenommen. Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Fachkräftemangels in Industrie und Gewerbe hat darum die SVP im Frühling die Beschränkung des Zugangs zu den Studien in Sozial- und Geisteswissenschaften gefordert: «Die Universitäten sollen nicht derart an den Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft vorbei Sozialwissenschafter produzieren, während wir in den exakten Naturwissenschaften einen Fachkräftemangel haben», sagt SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz.
Vor allem die Linken sind dagegen
Nun wird diese Diskussion von ungewohnter Seite befeuert. Der Berner Ökonom Stefan Wolter hat im Rahmen einer generellen bildungspolitischen Umfrage des «Swiss Leading House of Economics of Education» der Universitäten Bern und Zürich die Stimmung der Bevölkerung auch in dieser Frage sondieren lassen. Er kommt zum Schluss, dass die Zustimmung zu einem Numerus clausus für die Sozial- und Geisteswissenschaften überwiegt: Von 1500 Befragten sind 44 Prozent dafür, 36 Prozent dagegen, 20 Prozent haben keine Meinung (Grafik). «Das erstaunt mich», sagt Wolter. «Ich ging von einem grossen gesellschaftlichen Konsens darüber aus, dass die Schweizer Maturanden eine möglichst freie Hochschul- und Studienfachwahl haben sollen.»
Die Zustimmung steigt, je höher die Schulbildung der Befragten ist. Überraschend hoch ist sie vor allem bei Fachhochschulabsolventen (50%), bei den Uniabgängern halten sich Befürworter (45%) und Gegner (46%) die Waage. Erwartungsgemäss fiel das Ergebnis nach politischer Präferenz aus: Auf der linken Seite machen die Befürworter bloss 37 Prozent aus, auf der rechten sind es 45 Prozent.
Adrian Amstutz sieht sich durch diese Zahlen bestätigt: «Wir haben sehr viele positive Reaktionen auf unsere Forderung erhalten», sagt er. «Vor allem das Gewerbe und die Industrie hoffen auf eine Stärkung der Berufslehre und auf mehr Ingenieure.» Für SP-Nationalrat Matthias Aebischer hingegen wäre ein Numerus clausus «ein Schritt in die völlig falsche Richtung». «Die Schweiz hat das beste Bildungssystem der Welt, weil es fair und offen für alle ist. Das dürfen wir nicht mit solchen Ideen gefährden.» Für ihn offenbart die Umfrage vor allem eines: «Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die sich weder dafür noch dagegen ausgesprochen haben, mit dem heutigen System zufrieden sind.»
Aufklärung stärkt Befürworter
Das ist indes alle andere als klar. «Insgesamt scheint, dass mit mehr Informationen der Anteil der Befürworter leichter erhöht als gesenkt werden kann», sagt Wolter. Er hat die Befragten in vier Gruppen zu je 1500 Personen aufgeteilt und diese unterschiedlich informiert. Die erste Gruppe (Grafik) erhielt keine Zusatzinformationen. Der zweiten wurde gesagt, dass der Anteil der Studierenden in Sozial- und Geisteswissenschaften bei 31 Prozent liegt. Der dritten Gruppe wurde gesagt, dass 18 Prozent der erwerbstätigen Absolventen dieser Studien ein Jahr nach Abschluss nicht ausbildungsadäquat beschäftigt sind. Und der vierten wurden die jährlichen Kosten von 12 000 Franken pro Studienplatz aufgeführt, im Vergleich zu 24 000 Franken bei den Naturwissenschaften. Die ersten beiden Informationen haben die Zustimmung erhöht. Die letzte hat sie wieder gesenkt – ausser bei den schlecht Gebildeten, die offenbar selbst 12 000 Franken noch zu viel fanden.
Für Aebischer ist das eine Frage der Formulierung. Er sagt: «Das Studium in Sozial- und Geisteswissenschaften ist das günstigste überhaupt. Und fünf Jahre nach Abschluss haben alle einen Job.» Das müsse man einfach richtig vermitteln. Ins gleiche Horn stösst Markus Zürcher, Geschäftsführer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften: «Auf die Länge können sich die Geisteswissenschafter besser auf dem Arbeitsmarkt bewegen, weil sie allgemein qualifiziert sind.» Tatsächlich sind fünf Jahre nach dem Studium bloss 2,8 Prozent von ihnen arbeitslos gemeldet, bei den Naturwissenschaftern sind es 3,8 Prozent. «Wohin ein Numerus clausus führt, sehen wir in der Medizin, wo wir nun die Hälfte unserer Ärzte aus dem Ausland holen müssen», sagt Zürcher.
Dessen ungeachtet will die SVP das Thema weiter bewirtschaften. «Wir stehen in Kontakt mit unseren Kantonalparteien in dieser Sache», sagt Amstutz. In Bern und Basel-Stadt wurden bereits Vorstösse eingereicht. «Wenn diese keinen Erfolg bringen, sind auch Initiativen auf Kantonsebene denkbar.»
Quelle: http://www.nzz.ch/schweiz/volk-will-zugang-zu-unis-beschraenken-1.18604567